Am 19.2.2022 hat die BI Bahnhofsviertel Flensburg mit einer Gedenkveranstaltung an den Tag der Räumung und Rodung gedacht. Nachstehend der Redebeitrag von Günter Strempel.
Moin, liebe Freunde des Bahnhofswaldes!
Früh, ganz ungewöhnlich früh klingelte das Telefon an jenem Morgen des 19. Februar vor einem Jahr. Es war ein Anruf, der uns überraschte und schockierte: Wir hatten nicht damit gerechnet. War doch die Baumfällsaison fast schon zu Ende, außerdem Flensburg ein Corona-Hotspot (was damals noch etwas heißen wollte) und sogar aus der Verwaltung hatte es Zeichen gegeben, die Hoffnung nährten, der Wald werde diesen Winter überstehen.
Und dann das: „Es geht los!“ Bis heute habe ich Martinas Stimme im Ohr: „Unten im Wald sind sie schon zugange, sie sägen.“
Also Telefonkette und dann, so schnell es geht, hin zur Bahnhofstraße. In der Morgendämmerung ein unvergessliches Bild: Das baumbestandene Gelände rundum abgeriegelt mit einem Metallgitterzaun. Schwarze Folien versperren die Sicht auf das, was dahinter passiert, aber wir hören das Gekreisch der Sägen. Vor dem Zaun in engem Abstand aufgereiht eine unübersehbare Menge schwarz uniformierter Sicherheitsleute. Vor ihnen auf der Bahnhofstraße kleine Gruppen rat- und fassungsloser Menschen, die immer wieder auf die Baumhäuser zeigen. Keiner weiß, wie viele Baumbesetzerinnen dort oben sind. Bei den hektischen Aktionen, die hinter dem Zaun stattfinden, scheint das keine Rolle zu spielen.
Heute wissen wir, mit welcher offenbar anbefohlenen Rücksichtslosigkeit die Räum- und Rodungstrupps zu Werke gingen. Da spielten Menschenleben kaum eine Rolle und die umzuhauenden Bäume schon gar nicht.
Ja, heute wissen wir überhaupt einiges mehr als damals an jenem 19. Februar 2021. Viele von Euch, die heute hier sind, haben die Ereignisse miterlebt, die uns dann das ganze Wochenende über in Atem hielten: Da war die massenweise, nun amtlicherseits durchgeführte Rodung all der Bäume, die perfiderweise am Freitag im Eileinsatz geringelt und damit zum Tode verurteilt wurden. Und dann die von der Oberbürgermeisterin entgegen eigener Zusagen gleich am Samstag angeordnete Räumung aller Baumhäuser. Flensburgs Südstadt fiel in den Ausnahmezustand. Um das höchst angreifbare Vorgehen abzusichern, kam es zu einem der größten, vielleicht sogar zu dem größten Polizeieinsatz in Flensburg nach dem 2. Weltkrieg. Auf der anderen Seite zeigten viele hundert Demonstranten lautstark, phantasievoll, aber auch voller Wut und Trauer, wie viel ihnen das Schicksal dieses kleinen Waldes bedeutet.
Mit unserer Veranstaltung heute erinnern wir an das Geschehen vor einem Jahr. Es darf nicht vergessen werden, und ich bin mir sicher, wir werden es nicht vergessen. Nicht allein der kleine Wald dort drüben, auch die Flensburger Stadtgesellschaft trug eine offene Wunde davon. Und sie ist nicht einmal im Ansatz verheilt.
Da ist der Akt der Selbstjustiz, den die Investoren an jenem Freitagmorgen verübten, er blieb bis heute folgenlos. Das vielbeschworene Gewaltmonopol des Staates. Wo war es, als die Duschkewitz-Hansensche Privatarmee in Gang gesetzt wurde, als eine Art Söldnertrupp ohne jede Absicherung unmittelbar an der Bahnhofstraße Bäume fällte? Eingeprägt hat sich das kümmerliche Bild eines Polizisten, der die Schutzfolie am Zaun zur Seite schiebt und immer wieder bittend hineinruft, man möge doch sofort die Arbeiten einstellen. Hätte die ortskundige Polizei nicht wissen können, dass über den Postparkplatz der Zugang zum Gelände jederzeit möglich war? Später gab es dann auch nur ein leises, Unwillen sachte andeutendes Gebrummel der Verwaltungschefin. Und dabei wird es bleiben, denn alle Strafanzeigen, die gestellt wurden, hat die Staatsanwaltschaft inzwischen abgewiesen. Verfahren eingestellt. Anders dagegen sieht es aus auf Seiten der Baumbesetzerinnen, die friedlich und mit bewundernswerten Einsatz für das Überleben der Bäume eintraten. Sie werden bis heute mit Gebührenforderungen und Strafanzeigen überzogen. Rechtsstaatliches Vorgehen sähe anders aus. Was sich damals erschreckend deutlich zeigte, war eine für unser aller Zukunft überaus bedrohliche Tatsache: Wenn es ernst wird, zählt Naturschutz wenig, sehr wenig – viel, viel mehr aber der Schutz von Eigentum. Was noch einmal gesteigert gilt im Falle des Privateigentums von Investoren.
Deshalb ist der Bahnhofswald, wie er in Folge jener Ereignisse heute da liegt, eine Mahnung. Er erinnert uns daran, wachsam zu bleiben und nicht nachzulassen im Widerstand gegen eine lebensfeindliche Politik.
Gegen eine Politik des angeblich unverzichtbaren Wachstums, die behauptet, Flensburgs Tourismuszahlen müssten wachsen. Man sagt uns, wir bräuchten hier einen riesigen, öden Stahlbetonbau mit über 150 Zimmern. Dessen gesichtslose Fassade soll irgendwann ein Schild schmücken, auf dem steht „Intercity-Hotel“. Àpropos Intercity. Dazu gibt es die passenden Züge, aber die fahren heute und infolge der städtischen Verkehrsplanungen auch zukünftig in weitem Bogen an diesem Bahnhof vorbei.
Der Bahnhofswald mahnt auch zum Widerstand gegen die bisher in Flensburg dominierende Verkehrspolitik, denn auch die ist in ihrem Kern lebensfeindlich. Ihr zentrales Dogma lautet „Autos first!“ Eine konkrete Folge dieses autozentrierten Denkens könnte sein, dass auch der noch erhaltene Teil des Bahnhofswaldes zerstört wird. Er würde dem geplanten Parkhaus zum Opfer fallen. Damit es soweit kommt, muss allerdings jenes kleine, offiziell als Wald anerkannte Waldstück seinen Status verlieren. Die Genehmigung für diesen bürokratischen Akt der Waldentwidmung liegt bereits vor. – Aber zum Glück: Noch steckt Sand im Getriebe! Noch läuft die vom BUND mit unserer Unterstützung geführte Klage gegen diese Genehmigung.
Eine Waldentwidmung hätte schlimme Folgen. Wiederum würden viele Bäume fallen, der noch vorhandene Wald würde sich in eine parkähnliche Fläche verwandeln und viele Tiere und Pflanzen ihren Lebensraum verlieren.
Alle vorliegenden Pläne für das Bahnhofsumfeld zeigen deutlich, wie sehr die Planer nach wie vor den Autoverkehr an die erste Stelle setzen. Was bedeutet es denn, heute hierher ins Bahnhofstal ein nigelnagelneues Parkhaus setzen zu wollen? Es bedeutet, fest, beton-fest darauf zu bauen, dass noch auf Jahrzehnte hinaus hunderte zusätzlicher Autos Kurs auf die Flensburger Innenstadt nehmen. Wer so plant, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Wir alle wissen, dass es gerade der automobile Individualverkehr ist, der einen übergroßen CO2-Ausstoß verursacht.
Und noch etwas rufen die Auseinandersetzungen um den Bahnhofswald und ihr trauriges Ergebnis ins Gedächtnis. Mit geradezu brutaler Härte wird hier offenbar, was strukturell in der Flensburger Verwaltung und in der Kommunalpolitik grundverkehrt läuft. Das sind die eingefahrenen Mechanismen der Flensburger Planungen zur Stadtentwicklung.
Eine Stadt gehört ihren Bürgern – wem sonst? Dann sollten aber auch sie es sein, die entscheidenden Einfluss darauf nehmen, wie und in welche Richtung sich ihre Stadt entwickelt. In Flensburg läuft das anders: Hier werden Planungen zur Umgestaltung von Teilen der Stadt vornehmlich von der Verwaltung in die Wege geleitet und dann auch weitgehend abgeschlossen, ohne in diesen Prozess die betroffenen Bürgerinnen und Bürger so einzubeziehen, dass tatsächlich von Beteiligung die Rede sein kann. Ja, im Flensburger Rathaus spricht man gern von EinwohnerInnenbeteiligung, aber der fundamentale Unterschied zwischen echter Beteiligung und bloßer Information, dieser Unterschied wurde dort bis heute nicht begriffen. Oder wahrscheinlicher noch: Man will ihn lieber nicht sehen.
Aktuell zeugt von dieser Ignoranz die Art und Weise, wie man mit Bunnies Ranch umspringt. Auch da haben sich die Konflikte in völlig unnötigerweise zugespitzt, und wir alle müssen damit rechnen, dass Bunnies Ranch gerade auch in den nächsten Wochen unsere Unterstützung braucht.
Die gesamte Entwicklung rund um den Bahnhofswald zeigt, was fehlende Beteiligung betroffener Bürger anrichtet. Unmöglich, hier all die Momente von Blind- und Sturheit aufzuzeigen, die den Planungsprozess begleiteten.
Nur zwei Beispiele: Unglaublich, aber wahr, ganz am Anfang der Planungen zur Umgestaltung des Bahnhofsumfeldes stand ein 92 Seiten umfassendes Gutachten. Sehr detailliert beschreibt es alles, buchstäblich alles, was in diesem Gebiet vorhanden ist. Doch gibt es eine Leerstelle: Die Natur. 0,00 Prozent! Schützenswerte Natur kommt einfach nicht vor. Es waren Bürger der Südstadt, die nach Bekanntwerden der ersten Planungen darauf aufmerksam machten, dass es sehr wohl zwischen Bahnhofstraße und Schleswiger Straße einen Wald gibt. Allein ihrer Initiative ist zu verdanken, dass daraufhin ein Teil dieser bewaldeten Fläche vom Kieler Umweltministerium als Wald anerkannt wurde. Das war 2018.
Und Vergleichbares wiederholte sich tatsächlich noch einmal. Da war sämtlichen Gutachtern, die das geplante Baugelände untersucht hatten, entgangen, dass es hier eine Quelle und ein Quellgebiet gibt. Diesmal waren es Mitglieder unserer inzwischen gegründeten Bürgerinitiative und an erster Stelle eine kundige Expertin des BUND, die das entdeckten. In der Folge musste auch die Quelle als schützenswertes Biotop anerkannt werden. Wir meinten förmlich das Zähneknirschen zu hören, mit dem man in Kiel diese Anerkennung vollzog. Und im Flensburger Rathaus dürften noch ganz andere Laute des Unwillens hörbar geworden sein, denn die Beweise für das Vorhandensein der Quelle traten just in den Wochen zu Tage, als die Ratsversammlung endgültig über das so umstrittene Bauprojekt entscheiden sollte. Aber, wie bekannt, man ließ sich nicht beirren. Man ignorierte letztlich auch all die sachkundigen Einwendungen, die Einwohnerinnen und Einwohner gegen den Bebauungsplan formuliert hatten und verfuhr strikt nach der Devise: Augen zu und durch!
Ja, Flensburg hat ein ausgeprägtes Demokratiedefizit. Das Initiativennetzwerk FliB (Flensburg in Bewegung) setzt sich deshalb dafür ein, dass endlich auch in Flensburg geschieht, was in zahlreichen anderen Städten bereits praktiziert wird: dass nämlich vor der Erstellung konkreter Pläne ein Bürgerrat eingesetzt wird, in dem Aspekte und Folgen möglicher Planungen umfassend vorgestellt und diskutiert werden. Wäre das im Falle des Bahnhofs-umfeldes geschehen, wir stünden heute nicht hier, und dort drüben gäbe es nicht diese traurige Wüstenei.
So ist der Flensburger Bahnhofswald auf vielen Ebenen zu einem Symbol des Widerstandes geworden. Und dieser Widerstand geht weiter. An jedem Donnerstagnachmittag halten Mitglieder unserer Bürgerinitiative Mahnwache direkt am Zaun. Oft werden wir da gefragt: Ja, gibt es den Bahnhofswald denn überhaupt noch? Wurde er nicht gerodet? Ist die Sache nicht längst entschieden?
Und wir antworten: NEIN! Der Kampf um den Wald ist keineswegs zu Ende! Viel zu viele Bäume wurden gemordet, aber noch steht der kleine Wald hinten am Hang zur Schleswiger Straße. Noch gibt es den artengeschützten Steilhang ebenso wie die Quelle und das Quellgebiet. Noch sind Hotel und Parkhaus längst nicht gebaut.
Unsere Bürgerinitiative wird Ihren Widerstand gegen ein so überflüssiges Bauprojekt an dieser so denkbar ungeeigneten Stelle (über die Gefahren eines bevorstehenden Hangrutsches könnte man eine eigene Rede halten) mit aller Kraft fortsetzen. Unser Ziel ist und bleibt, Hotel- und Parkhausbau zu verhindern. Wir fordern die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf, dafür zu sorgen, dass dieses geschundene Gelände sich erholen darf und der Natur zurückgegeben wird.
Kurz zur juristischen Ebene. Auch da gibt es Hoffnung:
Eingereicht sind neben der erwähnten Klage gegen die Waldentwidmung noch zwei Klagen gegen die Baugenehmigung für das Hotel. Die Prozesse werden vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig stattfinden, wir wissen nur noch nicht wann.
Zu hoffen ist, dass im Rahmen dieser Verhandlungen auch der Bebauungsplan ins Visier der Richter gerät. Er liegt allem zugrunde und weist so eklatante Fehler und Schwachstellen auf, dass mit seiner Zurückweisung das gesamte Bauprojekt erst einmal und womöglich für immer zum Scheitern verurteilt wäre.
Außerdem darf, wer mag, auch gern darüber spekulieren, wie es auf Investorenseite aussieht. Hinter den Kulissen meine ich. Wie ernst ist es den anvisierten Hotelbetreibern, der Hospitality Group (inzwischen Teil des chinesischen Riesenkonzerns Huazhu) heute noch mit dem Betrieb eines Hotels am Flensburger Bahnhof?
Zum Schluss will ich jetzt im Namen unserer BI für mannigfache Unterstützung danken: an erster Stelle den jungen Baumbesetzerinnen und Baumbesetzern, die am 01.Oktober 2020 in den Wald einzogen. Das war schon ein Einzug der besonderen Art: Wir sahen sie in luftiger Höhe zwischen Ästen und Gezweig herumturnen, immer sorgsam darauf bedacht, ihren Wohnungsgebern nicht zu schaden, während sie dort oben ihre Häuser bauten.In denen blieben sie dann auch unter widrigsten Bedingungen den ganzen Winter hindurch bis eben zu jenem Morgen.
Sodann danken wir den vielen Menschen, die uns mit ihrer Ermutigung, aber auch und vor allem durch ihre Geldspenden unterstützt haben und hoffentlich weiterhin unterstützen. Gerichts- und Anwaltskosten werden auch zukünftig anfallen, und sie sind, wohl auch weil uns ein auf diesem Gebiet sehr erfahrener Anwalt vertritt, unglaublich hoch. Wem es noch nicht aufgefallen ist: An unserer Veranstaltung heute nimmt auch unser großes, von Birte liebevoll geformtes Spar-Wildschwein teil, es steht dort drüben…
Zuallerletzt, aber nur deshalb, weil ich gleich das Mikrofon in seine Hände übergebe, kommt der BUND. Dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland schulden wir allergrößtem Dank, weil wir ohne ihn sehr dumm dastünden.
Ohne ihn könnten wir die juristischen Auseinandersetzungen gar nicht führen, denn nur ein anerkannter Umweltverein ist berechtigt, entsprechende Klagen vor Gericht einzubringen. Der BUND trägt dankenswerterweise die Hälfte aller hierbei anfallenden Kosten, die andere Hälfte unsere BI.
So reiche ich jetzt das Mikro weiter an Carl-Heinz Christiansen, den stellvertretenden Landesvorsitzenden des BUND Schleswig-Holstein. Carl-Heinz, von Niebüll her kommend, hattest Du einen weiten Weg. Umso mehr freuen wir uns, dass Du die Anreise auf Dich und Dir die Zeit genommen hast, heute hier dabei zu sein.
Vielen Dank!
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