Offene Anfrage an die Ratsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP, SSW, und SPD und nachrichtlich an Herrn Oberbürgermeister Fabian Geyer sowie die Fraktionen BüsoS, Die Linke, Flensburg wählen! und WiF
Flensburg, den 15.2.2023
Sehr geehrte Ratsmitglieder,
vor der Kommunalwahl im Mai erbitten wir von Ihnen eine Äußerung darüber, wie Sie im Rückblick Ihre Entscheidung vom 25.6.2020 zum B-Plan 303 „Hauptpost“ bewerten – es ging um die Planungen am Bahnhofswald. Sie werden verstehen, dass das für uns von entscheidender Bedeutung dafür ist, wem wir die Geschicke der Stadt für die nächsten fünf Jahre anvertrauen wollen. Und nicht nur für uns: Große Teile der Stadtgesellschaft haben an den Ereignissen um den Bahnhofswald lebhaften Anteil genommen und bei der OB-Wahl gezeigt, dass das weiterhin für sie wahlentscheidend ist. Deshalb erfolgt diese Anfrage in der Form des Offenen Briefes.
Hier folgt eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse, die durch Ihre damalige Entscheidung ausgelöst wurden:
Die Quellen
Schon im August 2020 wurde deutlich, dass die Ratsentscheidung vom 25.6.2020 unter falschen Voraussetzungen erfolgte, denn die auf der Ratsversammlung verleugnete Quelle am Rande des Baugebietes wurde vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (LLUR) anerkannt und geschützt. Später wurde immer deutlicher, dass darüber hinaus im Baugebiet eine Sickerquelle mit mehreren Ausflüssen besteht. Kurz bevor der renommierte Quellenforscher Dr. Peter Martin sie untersuchen konnte, ließen die Investoren sie im Juli 2022 abbaggern. Dr. Martin schrieb nach einer Ortsbegehung danach:
„Zusammenfassend ist es sehr bedauerlich und nicht nachvollziehbar, weshalb durch die stattgefundene bauvorbereitende Maßnahme ein offenbar streng geschütztes Biotop zerstört wurde, bevor eine genaue Untersuchung stattfinden konnte.“
Die Sickerquelle setzte sich jedoch durch die aufgeschüttete Kies- und Sandschicht weiterhin durch und wurde nur umso deutlicher sichtbar.
Der Widerstand
Im Winter 2020/21 wurde der Bahnhofswald fünf Monate lang durch Aktivisten*innen besetzt, die Baumhäuser bauten und große Unterstützung aus der Zivilbevölkerung bekamen. Eine Mahnwache der Bürgerinitiative in der Bahnhofstraße wurde zunächst fünf Monate lang kontinuierlich und danach bis heute wöchentlich durchgehalten. Am 19. Februar 2021 schickten die Investoren in einem Akt der Selbstjustiz eine private Sicherheitsfirma, unter deren Schutz die Bäume ohne Rücksicht auf die Aktivisten teils abgesägt, teils angesägt wurden. Die hinzugerufene Polizei stoppte die Aktion zunächst, setzte dann aber die Räumung in eigener Regie in einem der größten Polizeieinsätze der Flensburger Geschichte mitten in der Coronawelle fort. Das Gehölz im Baugebiet des Hotels wurde abgeholzt. Die Stadtgesellschaft wurde durch diese Aktion tief gespalten.
Das Flensburger Amtsgericht sprach einen der Aktivisten aus den Baumhäusern im November 2022 in einem bundesweit Aufsehen erregenden Urteil frei: Der Beschuldigte habe zwar Hausfriedensbruch begangen, das sei aber durch „rechtfertigenden Notstand“ angemessen gewesen. Der Klimaschutz sei die überwiegende Rechtsnorm; man könne nach dem Klimaurteil des BVG nicht mehr davon ausgehen, dass der Staat das Klima von sich aus hinreichend schützt.
Siehe auch Artikel: https://www.bahnhofsviertelflensburg.de/2022/11/09/freispruch-fuer-einen-besetzer-des-bahnhofswaldes/
Die Klagen des BUND
Mit finanzieller Unterstützung der BI Bahnhofsviertel erhob der BUND Schleswig-Holstein Klage gegen die Waldumwidmung nach B-Plan 303 und gegen die Baugenehmigung für das Hotel. Für den Umweltverband ist der Vorgang exemplarisch für die an vielen Orten stattfindende Abholzung kleiner Wälder, die in der Summe aber große Bedeutung für den Artenschutz und den Klimaschutz haben. Diese Klagen verhinderten bis heute jeden Baufortschritt. Nachdem die Investoren die Sickerquelle abgebaggert hatten, ohne dabei Rücksicht zu nehmen auf die Wurzeln von zum Erhalt festgelegten Bäumen, erwirkte der BUND beim Verwaltungsgericht Schleswig einen vorläufigen Baustopp bis zum Entscheid im Hauptsache-Verfahren. Es wird immer deutlicher, dass es sich bei der Ansage der Investoren, das Projekt sei tot, wenn der Bau nicht im Frühjahr 2021 begonnen werde, offenbar um eine leere Drohung handelte.
– Im April 2021 scheiterte das beim Neumarkt geplante Tagungshotel als „wirtschaftlich nicht umsetzbar“. Ob ein am Bahnhofswald gelegenes Tagungshotel denn wirtschaftlicher wäre, wurde nicht thematisiert.
– Am 24.2.2022 beschloss die Ratsversammlung ohne Gegenstimme „Leitlinien für eine nachhaltige Stadtentwicklung“, die im klaren Widerspruch zu den Planungen am Bahnhofswald und im Bahnhofsviertel stehen. Auf unsere Anfrage an Flensburgs Chef-Stadtplanerin, Frau Takla-Zehrfeld, ob die Planungen dort nun revidiert würden, bekamen wir keine Antwort.
– Am 10.06.2021 beschloss die Ratsversammlung einen Strategieprozess für eine Stadtentwicklungsstrategie 2030 unter Beteiligung der Stadtgesellschaft. Er ist noch nicht abgeschlossen, aber an den bisher behandelten Teilen kann man ablesen, dass auch diese Strategie in krassem Gegensatz zu den Planungen am Bahnhofswald stehen wird.
– Am 3.11.2022 reichte das Bündnis Klimabegehren 10.046 Unterschriften unter seine Forderung ein, die es innerhalb von 6 Monaten unter Flensburger Bürger*innen gesammelt hatte. Diese enorm große Unterstützung spricht für den hohen Stellenwert, den Klima- und Naturschutz für die Flensburger Stadtbevölkerung hat.
– Die Planungen im Bahnhofsviertel gehen derweil aber unverändert weiter. Immer noch weigert sich die IHRSan, den amtlich anerkannten Wald in die fortentwickelte Rahmenplanung für das Bahnhofsumfeld einzutragen. Ebenso fehlt im B-Plan „Achter de Möhl“ jeder Hinweis in Bild und Wort auf die bedeutende Baumgruppe auf dem Gelände des Kindergartens Schwedenheim in der Helenenallee; auch sie wird deshalb in der Planung nicht berücksichtigt. Das erzeugt dieselben Planungsfehler wie am Bahnhofswald – und könnte dieselben Konflikte erzeugen. Weiterhin wird die Versiegelung und Bebauung des ehemaligen Geländes des VfB Nordmark geplant (ebenso wie andernorts, z. B. Geschlossenheck in Wees), ohne dass der leerstehende Wohnraum in der Innenstadt angegangen oder die Versiegelung durch Entsiegelung an anderer Stelle ausgeglichen wird.
– Am 2.10.22 wurde Simone Lange als Oberbürgermeisterin abgewählt. Aus zahlreichen Gesprächen mit Wählerinnen und Wählern und aus den auf Wahlversammlungen gestellten Fragen ist zu entnehmen, dass die Ereignisse am Bahnhofswald für viele Bürger*innen wahlentscheidend waren.
Und am 14. Mai 2023 müssen sich die Parteien der Kommunalwahl stellen.
Um uns noch die Möglichkeit zu Reaktionen und evtl. Nachfragen vor der Kommunalwahl zu geben, wäre es sehr zu wünschen, dass Sie uns Ihre Antwort auf diese Anfrage bis zum 15. März zukommen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Für die Bürgerinitiative Bahnhofsviertel
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